Jeder Tag hat zwei Leben. Nicht nur die Helligkeit, sondern auch die Dunkelheit. Diese Dualität hat Schriftsteller/innen und Filmemacher/innen beschäftigt. In der Nacht wächst die Vorstellungskraft. Wir werden kreativer und handeln verwegener. Aus korrekten Beamten werden Abenteurer, aus jungen Männern Kämpfer in virtuellen Welten, aus Ehrenmännern Vampire. Die Nacht ist schwarz und unheimlich, sie bringt Horrorgeschichten, Liebesgedichte und Bekenntnisse hervor. Die Nacht ist prädestiniert für Dramen. Für alle, die lange wach bleiben oder nicht schlafen können, gibt es deshalb Lese-, Hör- und Sehtipps mit Geschichten rund um die Dunkelheit.
Andrea Däuwel-Bernd
Und morgens macht die Putzkolonne den Dreck weg
Nagelschmidt, Thorsten: Arbeit.
Frankfurt am Main: S. Fischer, 2020. – 333 Seiten
Wenn es dunkel wird gehen in diesem Roman die Lichter an in Berlin. Die Stadt wird zu einem Feuerwerk an Nachtleben, Clubszene und Party. Aber gleichzeitig müssen Menschen ihren Job erledigen, während Touristen, Studenten und Raver feiern. In einem Kreuzberger Hostel beginnt Sheriff seine Nachtschicht. Im Späti nebenan erlebt die Besitzerin den zweiten Überfall in einem Jahr. An der Tür des Clubs realisiert der Türsteher, dass Familie und Arbeitszeit nicht zusammenpassen. Außerdem: ein Drogendealer mit Helfersyndrom und Zahnschmerzen, ein Taxifahrer mit Geldsorgen, eine Buchhändlerin, die nachts Pfandflaschen sammelt, eine Notfallsanitäterin und ihre Patienten. Wer sind die Menschen, die nachts arbeiten, während andere feiern? In diesem temporeichen Gesellschaftsroman sind die Episoden und die Schicksale locker verwoben.
Dieses Buch muss auf jede Leseliste!
Im Taxi zum Oktoberfest
Frank Schmolke (Autor und Zeichner): Nachts im Paradies.
Edition Moderne, Zürich 2019. – 352 Seiten
Der Zeichner und Gelegenheitstaxifahrer Frank Schmolke verarbeitet in seiner Graphic Novel seine eigenen Erfahrungen beim nächtlichen Taxifahren in München. Er zeigt die dunkle Kehrseite der Glitzerstadt. Die mürrische Hauptfigur Vincent erledigt den stressigen Job während der Hochphase des Oktoberfestes vor allem nachts. Betrunkene Passagiere und unsympathische Fahrgäste machen ihm das Leben schwer, da fängt man sich auch mal ein blaues Auge ein. Eigentlich will Vincent Schriftsteller werden, aber Mietenwahnsinn und Lebensunterhalt werden immer teurer in der Großstadt. Und als seine sechzehnjährige Tochter Anna verschwindet, wird die Welt zum Alptraum.
Nachts sind alle Tiere grau?
Yates, Chris: Nachtwandern. Eine Reise in die Natur.
Berlin: Insel Verlag, 2019. – 151 Seiten
„Am liebsten beginne ich meine Wanderung im Dämmerlicht. Meine Augen können sich dann nicht nur besser an die Dunkelheit gewöhnen, als wenn ich aus dem Licht ins Schwarze träte, sondern ich mag auch, auf welch vielfältige Weise sich die gewohnte Umgebung verändert…“, so beginnt der Autor, wenn er uns mit nimmt zu einem Spaziergang durch die Sommernacht. Er streift über die Felder und durch den Wald nahe seinem Haus. Blätter rascheln unter den Füßen, das Gras ist taufeucht, ein Pfad schlängelt sich durch die südenglische Landschaft, Sterne zeigen den Weg. Eine Nachtigall singt, Schatten bewegen sich, Baumkronen wispern. Die Nacht macht die Natur anders, fremd, überraschend, magisch.
Wir sehen, hören und riechen intensiv mit, wandern durch die menschenleere Natur und erleben staunend ein verborgenes Paradies. Nature Writing vom Feinsten.
Taxi! Taxi!
Eine Nacht auf der Erde, auf den Straßen der großen Städte Los Angeles, New York, Paris, Rom und Helsinki warten Passagiere aufs Taxi. Und so treffen Taxifahrer/innen und ihre Passagiere für eine kleine Weile während des Transports aufeinander. Im nächtlichen Taxi gelten andere Gesetze als bei Tag. Kleine Geschichten über einen musikalischen Clown, ein junges Mädchen, das kein Filmstar werden will, eine selbstbewusste Blinde, einen beichtwütigen Vollblutitaliener und den schwärzesten Tag im Leben eines Menschen.
Ein sensibler Episodenfilm und witzigen, magischen, skurrilen und melancholischen Szenen.
Nachts in der Küche
Moor, Margriet de: Schlaflose Nacht.
München: C. Hanser , 2016. – 126 Seiten
Seit einiger Zeit steht sie auf, wenn sie nachts nicht schlafen kann. Im Bett will sie sich nicht schlaflos herumwälzen. Stattdessen backt sie Kuchen und ihr Hund leistet ihr Gesellschaft. Doch was ist es, was sie nicht schlafen lässt? Zwischen Teig und Ofenwärme, Butterkuchen und russischem Napfkuchen denkt eine Frau über ihr Leben nach, über ihre Ehe und über den Tod ihres Mannes vor dreizehn Jahren. Nach und nach offenbart sich eine tragische Geschichte.
Unter der Straßenlaterne
Fischer, Ernst Peter:
Durch die Nacht. Eine Naturgeschichte der Dunkelheit.
München: Siedler Verlag, 2015. – 239 Seiten
„Ich glaube an Nächte“, schrieb der Dichter Rainer Maria Rilke in seinem Gedicht „Du Dunkelheit, aus der ich stamme“. Das Gegenteil des Tages bringt neue Erfahrungen, zum Beispiel die der Dunkelheit oder des Schlafes. Der Heidelberger Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer erzählt in diesem unterhaltsamen, ausführlichen und vielseitigen Sachbuch davon, wie sich die Menschen die Nacht erobert haben. Warum gibt es Tag und Nacht, wie funktioniert das physikalisch? Was geschieht im Schlaf und Traum? Warum haben Menschen Angst vor dem Dunkeln? Warum wird die Nacht oft mit dem Bösen assoziiert? Erlebten die Menschen die Nacht früher anders als heute?
Schicksalsnacht
Angeblich äußerte der Autor selbst die Vermutung, dass viele seiner Geschichten nachts spielen, weil er nachts schreibt. Manche seiner Erzählungen sind bei Tageslicht unvorstellbar. So auch diese, in der es um einen Ich-Erzähler geht, der in eine Stadt zurückkehrt und einen alten Kumpel besucht. Dort versteckt er sich zwischen S-Bahn-Gleisen und Industriebrache in einem trockengelegten Bootswrack. Bei Kerzenlicht und Dosenbier sitzen die Männer unter Deck. Ausgehend von dieser intimen Szene entwickelt Meyer eine düstere Geschichte.
Bereichert wird der Text von den Illustrationen Phillip Jantas, der die Szenen in stimmungsvolle dunkle Bilder fasst. Seine Kohlezeichnungen zeigen eine diffuse Welt zwischen Stadtrand, Häusern, Autowracks und Straßenlaternen und machen das Buch zu einem echten Schmuckstück.
Nicht doch: die Kinder wollen nicht schlafen?
Dorléans, Marie: Auf leisen Sohlen durch die Nacht.
Hildesheim: Gerstenberg Verlag, 2019.
Wunderschönes, großformatiges Bilderbuch, in dem die Leser/innen eine Familie auf ihrem Nachtspaziergang begleiten, zuerst durchs Dorf, später durch die Natur. Fast riecht man den Duft der Pflanzen und hört die Geräusche der Tiere. Ein Nachtspaziergang ist auch für Kinder ein Naturschauspiel und in diesem Buch aufs Schönste umgesetzt. Ab 4.
Der Mond scheint überall, im heimischen Wald, im Dschungel, in der Steppe oder am Südpol und verzaubert Menschen und Tiere. Kurze Reime betonen das Geheimnisvolle während Ausstanzungen helfen, die verschiedenen Mondphasen auch haptisch darzustellen. Ab 3.
Matheson, Chistie: Funkle, heller Stern!
Bindlach : Loewe, 2015. – 22 Blatt, überw. Illustrationen
Ein Mitmachbuch für die Kleinsten, das den Übergang von Tag zur Nacht sehr stimmungsvoll veranschaulicht.
Toll für ein wunderschönes Einschlafritual und für Kinder ab 3.
Die Nacht lebt auch von Geräuschen – ein bisschen Nachtmusik darf sein
2Raumwohnung: Nacht und Tag.
Köln : rough trade Distribution GmbH, 2017. – 2 CDs
Die beiden CDs des Albums beschreiben den Wechsel zwischen Club-Nacht und Beginn des Tages. Die zehn Songs gibt es deshalb in zwei Versionen, eine Nacht- und eine Tagversion. Originelle Idee des Berliner Duos.
Der weiße Schein des Mondlichts hat viele Komponisten inspiriert. Hier ist eine CD voller stimmungsvoll-romantischer Werke.
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