Mehr Grillen, weniger Goethe und ganz viel Depresso – Wie die Stadtbibliothek Reutlingen den Coronablues bewältigt und sich auf die Zeit nach Corona vorbereitet

von Andrea Däuwel-Bernd.

Es ist ein gutes Jahr her, dass wir im März letzten Jahres kurz vor dem Lockdown im Besprechungsraum saßen. Misstrauisch hielten wir Abstand, die Stoffmasken drehten wir verständnislos in den Händen. Alle waren alle überfordert mit der Situation. Notfallpläne wurden gemacht. Wir Bibliothekar/innen sind meisterhafte Listenschreiber. Zwei Tage später war die Bibliothek geschlossen und blieb es bis Mai 2020. Im Herbst 2020 kam der nächste Lockdown. Nach 15 Monaten „Bibliothek light“ haben wir endlich wieder Hoffnung, dass Licht am Ende des Corona-Tunnels kommt.

 

Zahlen, Trends und Sorgen

Wir trösten uns mit Statistikzahlen, denn mit einem blauen Auge sind wir 2020 davongekommen:  Immerhin 1,2 Mio. Entleihungen. In der Pandemie brauchen Menschen Medien, mit denen sie Zeit gestalten können. Der Trend geht zu Kindermedien, Romanen und Erzählungen, Medien zu Freizeit und Alltagsgestaltung. Kochbücher, Achtsamkeitsratgeber, regionale Wanderführer waren der Hit. Der Strom an Neuerscheinungen riss auch im Pandemiejahr nicht ab.

Aber die Nachfrage nach Medien für die Schule ist zurückgegangen und das macht Sorge. Mit der Zielgruppe Schüler/innen „brummte“ die Bibliothek vor Corona. Es war Leben in der Bude, denn die Stadtbibliothek war auch beliebter Aufenthalts- und Lernort. Wird die Zielgruppe den Weg in die Bibliothek wiederfinden? Wird sich die Sach- und Fachbuchausleihe erholen? Wie bleiben wir präsent als Medienhaus, wenn der Zugang nicht möglich oder mit Hürden verbunden ist?

 

Heilige Kühe schlachten und Abholservice

Hinter den Kulissen rumort es im Coronajahr. Es geht auch mit alternativen Konzepten.  Den Lockdown über rennen wir treppauf, treppab und suchen für den neu eingerichteten Abholservice Medien zusammen für Kund/innen, die uns während der Schließzeiten die Treue halten und auf ihren Lese-/Hör- und Sehstoff nicht verzichten müssen. Und stellen fest: Einiges muss organisiert und improvisiert werden. Nach der Wiedereröffnung wird viel Personal gebraucht für Check-In und Check-Out. Apps und Software tauchen im bis dahin eher behäbigen Bibliothekskosmos auf. Excel ist doch nicht alles, stellen wir fest, die Welt außerhalb der Bibliothek ist ganz schön digital geworden. Wir wollen das auch. Auf einmal wird auch die Stadtbibliothek moderner: Bibliotheksapp, Online-Buchungsportal für Veranstaltungen, u.a.

 

Digitaler wird auch der Medienbestand

Der große Hype ist nicht ausgebrochen bei unseren eBooks. Aber sie legen jedes Jahr zu, auch ohne Pandemie. Neue Digitale Angebote müssen gefunden werden. Noch steht nicht alles für Bibliotheken zur Verfügung, was man sich wünscht. Aber mit dem Film-Streamingdienst filmfriend, der eAusleihe Neckar-Alb und der Zeitschriften-Datenbank Pressreader sind wir schon länger dabei und decken den Freizeitbereich ab. Was fehlt, sind digitale Angebote im Bereich Musik, wo die kommerziellen Streamingdienste den Markt besetzen, und digitale Lernhilfen für Schüler/innen. Schwieriges Terrain für Bibliotheken. Hier muss im Laufe des Jahres mehr dazu kommen. Das bundesweite Förderprogramm „Wissenswandel“ macht‘s möglich. Der Bestand wird sich in den nächsten Jahren ändern hin zu mehr digitalen Angeboten.

 

Bibliothekar/innen allein zuhaus

Und Homeoffice ist auf einmal auch keine Science-Fiction mehr. Naja, Homeoffice wird noch nicht als Personalkonzept begriffen, sondern resultiert aus einer puren Notwendigkeit. Mit dem Hygienekonzept durften Büros nicht mit mehreren Personen besetzt werden. Aber der mobile Zugriff auf dienstliche Mails, Bibliotheks-Software und Dokumente von zuhause aus, seit Jahren undenkbar, ist auf einmal Realität. Das mobile Arbeiten erfordert neue Organisations- und Kommunikationsstrukturen, jetzt trifft man sich zu Besprechungen per Konferenzsoftware.

 

Kultur geht auch digital

Über ein Jahr lang Veranstaltungen abgesagt, bzw. nur in geringstem Maße möglich. Zwischen Abstand, Maske, Desinfektionsspray bleiben Spaß und Spontanität auf der Strecke, vor allem für Kinder. In der Pandemie gibt es keine Lesungen, keine Vorlesestunden, keine Klassenführungen und keine Computer-Einführungen. Aber die Kolleg/innen von der Öffentlichkeitsarbeit filmen Blaue Stunden und organisieren Diskussionsveranstaltungen digital. Es geht. Das Publikum ist ein anderes, aber es ist da. Wir schauen mit Neid auf andere Bibliotheken, die weiter sind in den neuen Veranstaltungsformaten und in den Sozialen Medien. Aber wir schauen auch ab. Bezahlen geht auf einmal digital, Bibliotheksapp und Luca-App, Bibliotheksanmeldung online. Der Instagram-Account gewinnt weitere Follower/innen und meldet sich fast täglich mit Wort und Bild. Und auf einmal gibt es auch einen Youtube-Kanal und einen Bibliotheksblog. Diese Pflänzchen müssen gegossen werden.

 

Schwachstellen finden

Corona legt den Finger auf offene Wunden. Die Bibliothekssoftware ist träge. Die Internet-Anbindung der Zweigstellen ist schlecht bzw. nicht vorhanden. Was in normalen Zeiten hingenommen wurde, geht jetzt nicht mehr. Baustellenalarm! Die  Zweigstellen haben Nachholbedarf, auch sie wollen zur digitalen Medienbildung an den Rändern der Stadt beitragen und wollen stärker profitieren von den Möglichkeiten, die Digitalisierung bietet. Die Versorgung der Stadtteile und Teilorte mit Digitaler Ausstattung und digitalen Angeboten hüpft in der Zieleplanung nach oben.

 

Challenge accepted –Der Weg ist das Ziel

Bibliotheken bezeichnen sich gerne als den „3.Ort“. Das bedeutet einen öffentlichen Raum, wo Teilhabe, Kommunikation, Austausch und Ideen von allen und für alle gefragt sind. Solche 3. Orte tragen zur Stadtbelebung bei und setzen einen Kontrapunkt zu rein kommerziellen Angeboten. Der Fokus der Bibliotheken lag vor Corona auf Angeboten vor Ort. Aber was tun, wenn Cafes und Geschäfte geschlossen sind und die Menschen die Innenstädte meiden? Eine Herausforderung auch für Bibliotheken. Mit der Pandemie hat sich vieles gewandelt, die Gesellschaft ist digitaler geworden. Stadtbibliotheken sehen neue Aufgaben auf sich zu kommen. Das Bereitstellen neuer Technologien durch die Stadtbibliotheken kann eine Maßnahme sein, entsprechende Kompetenzen bei den Nutzer/innen zu fördern und um die nun häufiger diskutierte digitale Spaltung der Gesellschaft zu vermeiden. Bibliotheken können Ankerpunkte und Begegnungsstätten für alle sein und damit zur Innenstadtbelebung nach Corona beitragen. Und mit neuen digitalen Angeboten können sie die Menschen auch mobil und rund um die Uhr begleiten und ihren Service verbessern.

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