Musik für viele Instrumente und eigenhändig gemachte Musik

Betrachtungen über aktuelle Entwicklungen in der Musik und über die musikalische Vielseitigkeit

von Axel Blase.

Immer wieder entdecke ich Neues in der Musik: ausdrucksstarke Songs, fremde Musikstile, besondere Klänge oder bahnbrechende Interpretationen. Unsere Welt ist an kreativen und fantastischen Musiker/innen reich und sie sind über den ganzen Erdball verteilt. In meinem Beruf als Musikbibliothekar habe ich viele Gelegenheiten, etwas davon zu entdecken und kennenzulernen. Umso mehr freut es mich, dass heutzutage Musikbibliotheken in ganz Deutschland eine breite Auswahl von Musikinstrumenten zum Verleih anbieten. Dadurch kann man sich nicht nur in einem, sondern in mehreren Musikinstrumenten versuchen; und wer weiß, vielleicht wird so ein erster Schritt zu einer eigenen “One-Wo/Man-Band” gemacht. Hier mein kurzer Exkurs über musikalische Vielseitigkeit und meine Empfehlung, sich nicht nur für ein Musikinstrument zu begeistern.

Jacob Collier als Solomusiker auf Youtube

Als ich 2016 zum ersten Mal einen 17-jährigen, englischen Jazzmusiker hörte, war ich von ihm und seiner Musik fasziniert. Jacob Collier hielt die Welt auf Youtube mit seinen Jazzstücken in Atem, weil er Erstaunliches leistete und im Internet veröffentlichte. In seinem Jugend- und Musikzimmer – das er zu einem Aufnahmestudio umfunktioniert hatte – nahm Jacob Bild und Ton seiner eigenen Jazzarrangements auf. Spur für Spur spielte er sie ein, sang von hoch bis tief sechs Gesangsstimmen, begleitete sich an der Gitarre und am Keyboard und groovte an Kontrabass und Schlagzeug, um sich sozusagen mit einer komplett eigenen Band musikalisch auszudrücken. Die Glanzlichter setzte er mit virtuosen Soli auf einer Melodica. Diese einzeln aufgenommenen Musikbestandteile setzte er noch fantasievoll in Musikvideos zusammen und fertig war ein Musikprodukt, das gleichermaßen erfolgreich, zeitgemäß, professionell und äußerst individuell geprägt war.

Jacob Colliert in seinem ganz privaten Aufnahmestudio Quelle: Link

Hören und sehen Sie, wie fantastisch der junge Mann musiziert und wie kreativ er Musik in Szene setzt:
Jacob Collier: Don’t You Worry ‘Bout A Thing by Steve Wonder

Musikpraxis früher und heute

Die musikalische Vielseitigkeit, die Jacob mit seinen 17 Jahren an den Tag legte, erinnert aber auch an vergangene Zeiten. Vor mehr als 200 Jahren war es für Musiker völlig selbstverständlich, dass sie mehrere verschiedene Blas- und Streichinstrumente spielen oder zwischen Gesang und Instrumenten wechseln konnten. Die Musiker passten in jener Zeit die Besetzung ihrer Musikensembles an den Zweck und Anlass an und waren sehr flexibel. Eine Spezialisierung, wie wir sie im 20. Jahrhundert in der Musikwelt für die Musiker kennen, war damals kaum vorstellbar. Heutzutage studieren angehende Musiker/innen wieder vermehrt verschiedene Musikinstrumente: sie beherrschen historische und moderne Streich- und Blasinstrumente und deren Spielpraxis und das wiederum erfordert wieder vielseitige begabte junge Musikerinnen und Musiker.

Das Gemälde von Johann Zoffany war eine Auftragsarbeit der Familie Sharp. Sie zeigt den Bedeutungswandel vom privaten Hauskonzert zum Konzert als öffentliches Ereignis im 18. Jh. Quelle: Link

Zurück zu Jacob Collier, dessen außerordentliche musikalische Begabung sich in seinen eigenen vier Wänden entfaltete. In seinen Videos sieht man, dass er jedes Musikinstrument, das er in die Hand nimmt, perfekt spielen kann. Seine Aufnahmen sprühen vor Vitalität und Lust am Musizieren. Etwas später setzte er seinen Musikvideos mit Livekonzerten noch eine Krone auf. Wie in den Videos, macht er seine Musik ganz alleine. Mit Hilfe raffiniert eingesetzter Technik erzeugt er die Illusion, dass er mit seiner Band mehrfach auf der Bühne steht. Die Konzerte müssen atemberaubende Spektakel gewesen sein, die dem Live-Konzert eines Solomusikers eine neue Dimension verliehen haben.

Musik in schwierigen Zeiten

Einige Jahre nach Colliers Debut und in die Zeiten der ausgehenden Pandemie versetzt stellt sich die Frage, ob Jacob Collier und andere Musikschaffende durch ihr Auftreten und durch ihre kreative Arbeit etwas bewirken konnten? Ich denke ja. Colliers Art zu Musizieren und sich jedes Musikinstrument selbständig zu erarbeiten ist ein beispielhafter Weckruf für alle, die ein Faible für die Musik haben. Musik lebt von sozialer Interaktion und unmittelbarer Kommunikation, vom Hören aufeinander und vom wechselseitigen Reagieren. Musik ist ein gemeinschaftliches Erlebnis, das zunächst einmal auf die Fähigkeiten und die Initiative von einzelnen Menschen baut. Wer selbst gerne Musik macht und sie in sich trägt, dem bleibt die Liebe zur Musik erhalten, auch wenn das, wie in den Zeiten der Pandemie, zeitweise nur allein möglich ist. Doch wir haben dabei immer wieder erlebt, wie viel Trost und Lebensfreude die Musik spenden kann, um im Leben wieder Fuß zu fassen und aus der gesellschaftlichen Krise zu finden.

Die Pandemie verdrängte Musik als soziales Ereignis weitestgehend in den digitalen Raum. Foto: Pixabay / Prophotos

Musikinstrumente für alle

Als die Musikbibliothek im Herbst 2020, mitten in der Pandemie, ein neues Angebot einführte, setzte eine kleine Erfolgsgeschichte ein. Mit Ukulele, E-Gitarre, E-Bass, E-Violinen und E-Cello wurden Musikinstrumente als neue „Medien“ in der Bibliothek ausgeliehen, die seitdem sehr gerne auf dem Ausleihzettel unserer Bibliothekskunden/innen stehen und nach Hause genommen werden. Die Bibliothek als öffentlicher Orte wird so einmal mehr zu einem Ort für Inspiration und individuelle Fortbildung. Mit den entleihbaren Musikinstrumenten lässt sich die Musik entdecken; man kann sie erleben, erfahren und sie ausüben. Menschen aller Altersgruppen dürfen sich auf ihrem eigenen Weg an die Musik wagen und sich mit Hilfe der Musik ausdrücken.

Es ist schön, das mitzuerleben und es erinnert mich daran, dass die Musik schon immer eine wichtige gesellschaftliche Funktion hat. Vielleicht ist es gerade im Südwesten Deutschlands, wo archäologische Fundstücke auf der Schwäbischen Alb von den ältesten Musikinstrumenten der Menschheit zeugen, angebracht, in schwierigen Zeiten ein Musikinstrument in die Hand zu nehmen und in einem Raum Musik zu machen.

Foto: Stadtbibliothek Reutlingen

Wenn also eines Tages ein Musiker im Internet erscheinen sollte, der sich wie Jacob Collier solostisch auf vielen Instrumenten präsentiert, dann könnte es sein, dass er seine ersten musikalischen Schritte mit Musikinstrumenten der Stadtbibliothek Reutlingen gewagt hat. Es wäre schön, wenn viele junge oder ältere Menschen ihre Freude an der Musik entdecken, indem sie verschiedene Musikinstrumente ausprobieren und sie dann erlernen.

Infos zu unseren Medien:

Musikinstrumente, die in der Musikbibliothek für vier Wochen ausgeliehen werden können, sind hier in unserem Katalog zu sehen.
Neu sind unsere Musikinstrumente für Kinder wie Blockflöten, Melodica, Glockenspiele, Schlaginstrumente und Trommeln, Akkordeon, E-Gitarre und Violine in Kindergrößen.

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