Ein weiteres Coronajahr vorbei

von Argiro Mavromatis.

Es gab zwei himmelblaue Wochen im letzten Jahr. Sonnenschein, Wärme – das war‘s. Der Rest war nix. Nicht nur wegen des verregneten Sommers. Lockdown Anfang bis Mitte März, restriktive Zugangsregelungen in der Stadtbibliothek – Corona blieb ein Spaßverderber: Für unsere Kund/innen, die nicht mehr in den Regalen stöberten, für die Schüler/innen, die nicht mehr in Gruppen arbeiteten und herumalberten, für die Kleinen, die nicht mehr in der Kinderbibliothek herumturnten. Und vor allem für die Veranstaltungen, die im vergangenen Jahr völlig neu organisiert werden mussten.

We will meet again – die Stadtbibliothek verlagert viele Veranstaltungen ins Internet

Mit dem Lockdown Anfang des Jahres, stellte uns das Vorhaben der digitalen Umsetzung von Veranstaltungen vor viele Herausforderungen. Von der Konzeption: Können unsere Veranstaltungsformate sinnig in den digitalen Raum übertragen werden? Bis zur Umsetzung: Wie kann eine Konferenzsoftware einen Veranstaltungsraum mit Bühne und Publikum ersetzen? Wir starteten verhältnismäßig simpel und übertrugen die Veranstaltungsreihe „Blaue Stunde“, die seit etlichen Jahren am Ovalen Tisch stattfindet, online über einen Live-Stream. Es stellte sich  heraus, dass ohne das geeignete Setting kein zufriedenstellendes Ergebnis möglich war und so tasteten wir uns mit Aufnahmen, die nachbearbeitet und über unseren Youtube-Kanal übertragen wurden, an die Materie heran. Die Ergebnisse wurden besser und die generierten Klicks waren ein erster Erfolg.

Es zeigte sich außerdem, dass vor allem unsere partizipativen Veranstaltungen gut in den digitalen Raum übertragbar waren. Viele Kacheln mit interessierten und freundlichen Gesichtern heben die Stimmung und erhöhen die Aufmerksamkeit. Beim „Treffpunkt Werkstatt“ machten wir online den Lebensmittel-Check und bereiteten uns im Frühjahr auf das Aussäen, Vorziehen und Pflanzen von Gemüse vor. Unsere monatliche Textarbeiter/innen-Gruppe war besonders ausdauernd und der Wunsch die Treffen beizubehalten, beflügelte die Teilnehmer/innen unabhängig vom Alter zu Höchstleistungen im Umgang mit der Technik.

Summertime – Vieles war wieder möglich

Kaum hatten wir das nötige Knowhow für ordentliche Aufnahmen und erste Online-Veranstaltungsformate gesammelt, da erlaubten die Entwicklungen wieder erste Präsenzveranstaltung. Traurig war darüber keiner und das erlernte Wissen, würden wir schon noch brauchen können. Eines wurde während des Lockdowns nämlich deutlich: wir stehen am Anfang der Digitalisierung. Die erste Lesung mit Präsenzpublikum fand im Juli 2021 statt. Wir starteten mit einer Reutlinger Buchpremiere und konnten gemeinsam mit der charismatischen Autorin Nicola Vollkommer eine Reise in die Zeit der britischen Regency unternehmen. Ein Highlight waren die Aktionstage rund um 3D-Druck in Kooperation mit INNOPORT Reutlingen und Create Education. An drei Tagen konnten sich Besucher/innen im Erdgeschoss über 3D-Drucker informieren, Fragen stellen und Gestaltungsprogramme ausprobieren. Der Zuspruch war groß und die Bibliothek als Ort zum Verweilen und Lernen war spürbar. Ein weiteres Highlight des Veranstaltungsprogramms 2021 fand im September im Rahmen der Interkulturellen Woche statt. Unter dem Motto #offengeht luden wir die Autorin und erste Schwarze Schulamtsdirektorin Florence Brokowski-Shekete ein. Sie las aus ihrer Autobiografie und kam ins Gespräch mit dem Reutlinger Verein “Blacks Connected”. Gemeinsam mit der Autorin, den Referent/innen und dem Publikum stellten wir uns der Frage: Wie machen wir uns stark gegen Alltagsrassismus? Der Abend war geprägt von intensiven Gesprächen und interessanten Lebensgeschichten. Interkultureller Dialog und gesellschaftlicher Diskurs in Präsenz waren erfolgreich und machten definitiv mehr Spaß als vor dem Bildschirm.

Trotz des schwierigen Jahres konnten wir außerdem mit dem INNOPORT Reutlingen einen neuen und spannenden Kooperationspartner gewinnen. Im November luden wir den Autor und KI-Experten Dr. Philip Häusser zur ersten Kooperationslesung außer Haus in den Spaceport des INNOPORT Reutlingen ein. Unter den Besucher/innen waren auch zahlreiche Studierende der Hochschule Reutlingen und Reutlinger Schüler/innen. In diesem Jahr sind weitere Zusammenarbeiten mit dem Innovationszentrum INNOPORT geplant.

Bad Times – das Virus ist wieder da

Am Jahresende waren die Bemühungen einen lebendigen Kulturbetrieb zu gestalten erneut überschattet von den steigenden Inzidenzen. Die Notwendigkeit von zusätzlichen Schnelltests und die dynamischen Änderungen der Regelungen ließen die Besucherzahlen schrumpfen. Dennoch war es schön zu sehen, dass viele unserer Besucher/innen ihrem Wunsch nach Kultur nachgingen. Im November konnten wir unsere wöchentliche literarische Unterhaltung im Rahmen der Blauen Stunde wieder am Ovalen Tisch starten lassen. In kleiner Runde kamen Gespräche über Literatur zustande – aber auch über die aktuelle Situation und die individuellen Befindlichkeiten. Hier konnte man am stärksten spüren, dass eine Bibliothek ein Ort der Begegnung und des Austausches ist. Und das haben wir 2021 vielleicht am dringendsten benötigt.

Never be the same again – wie geht es weiter?

Viele Aktivitäten wären nicht möglich ohne die Digitalisierung, sei es Homeoffice, virtuelle Konferenzformate, aber auch der Trend zu digitalen Services und Angeboten. Die Klicks auf die Website der Stadtbibliothek sind auf hohem Niveau stabil, neue digitale Angebote wie das Brockhaus Schülertraining, die Vokabellernsoftware Phase 6 und Overdrive, ein Portal für englischsprachige eBooks gehören jetzt zum Bestand. Wir lernten, dass es nicht ausreicht, Medien bereit zu halten, sondern dass sie auch beworben werden müssen und dass für die Menschen in Reutlingen guter Service wie der Abholdienst und Bibliotheksangebote in den Außenbezirken und Teilorten wie leistungsfähige Zweigstellen zählen. Klar ist: auch die Medien in der Stadtbibliothek verändern sich. Neue Angebote kamen dazu wie Musikinstrumente, Roboter für Kinder und Technik-Baukästen.

Im Bereich der Veranstaltungen hinterlässt das vergangene Jahr gemischte Gefühle. Nicht für alle Formate scheinen digitale Umsetzungen geeignet und nach langen Arbeitstagen vor dem Bildschirm ist für Viele die Online-Lesung nicht die bevorzugte Abendgestaltung. Ein sehr erfolgreiches Projekt, das im vergangenen Jahr startete, bestätigt diese Annahme: die Veeh-Harfen, die im Rahmen von Workshops und Spielgruppen in der Stadtbibliothek genutzt werden können, leben vom Miteinander. Das ergänzende I-Tüpfelchen zum individuellen Musizieren ist Menschen kennenzulernen und gemeinsam Musik zu machen.

Für uns steht fest, dass es vor allem im Bereich der Medien in den nächsten Jahren mehr und mehr darum gehen wird, Angebote über sehr unterschiedliche Kanäle zu vermitteln. Spannende und individuelle Aktionen können vor Ort und online individuelle Zielgruppen erreichen. Sei es Unterstützung für die Nutzung der eAusleihe und der Datenbanken, die jährliche Reutlinger Reading Challenge, aber auch Klassenführungen mit iPad und Rallye, Diskussionsrunden, Medienworkshops für Jugendliche und… und… und. Bei der Frage „Online vs Präsenz?“ ist unser Fazit nach einem weiteren Corona-Jahr: Das eine muss nicht das andere ersetzen, vielmehr wollen wir die Vorteile aus beiden Welten nutzen, um die Stadtbibliothek als attraktiven Ort zukunftsfähig zu gestalten.

 

 

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